„Ich fange morgen an." – Dieser Satz ist wahrscheinlich der meistgesprochene unter Studierenden. Und morgen? Morgen wird er wieder gesprochen.
Prokrastination ist kein Charakterfehler. Es ist kein Zeichen von Faulheit. Und es ist definitiv nicht etwas, das du einfach mit „mehr Disziplin" beheben kannst. Die Wissenschaft zeigt: Prokrastination ist ein komplexes psychologisches Phänomen – und genau deshalb lässt es sich auch systematisch überwinden.
Prokrastination ist keine Zeitmanagement-Schwäche. Es ist eine Strategie zur Emotionsregulation.
In diesem Artikel erfährst du, was wirklich hinter dem Aufschieben steckt, welche Typen von Prokrastination es gibt und welche evidenzbasierten Strategien tatsächlich funktionieren.

Was ist Prokrastination wirklich?
Prokrastination ist das freiwillige Aufschieben einer beabsichtigten Handlung, obwohl man weiß, dass dieses Aufschieben negative Konsequenzen haben wird.
Das ist wichtig: Es geht nicht um strategisches Planen oder Priorisieren. Wenn du eine Aufgabe bewusst auf später verschiebst, weil etwas Wichtigeres ansteht, ist das kein Prokrastinieren. Prokrastination liegt vor, wenn du weißt, dass du etwas tun solltest, es aber trotzdem nicht tust – und dich dabei schlecht fühlst.
Prokrastination: Du schiebst Lernen auf, obwohl die Klausur in einer Woche ist, und schaust stattdessen Netflix. Du weißt, dass es falsch ist, aber du tust es trotzdem.
Strategisches Aufschieben: Du entscheidest, heute den dringenden Essay zu schreiben und morgen mit der Klausurvorbereitung zu beginnen, weil der Essay zuerst fällig ist.
Die Kosten des Aufschiebens
Prokrastination ist nicht harmlos. Die Forschung zeigt klare negative Auswirkungen:
- Schlechtere Noten: Studierende, die stark prokrastinieren, schneiden durchschnittlich 5–10 % schlechter ab
- Höherer Stress: Aufschieber berichten von mehr Stress, besonders kurz vor Deadlines
- Schlechtere Gesundheit: Chronisches Prokrastinieren korreliert mit weniger Schlaf, schlechterer Ernährung und weniger Bewegung
- Geringeres Wohlbefinden: Schuldgefühle und Selbstvorwürfe begleiten das Aufschieben
Die Wissenschaft hinter dem Aufschieben
Die Temporal Motivation Theory
Die umfassendste Theorie zur Prokrastination ist die Temporal Motivation Theory von Piers Steel. Sie erklärt, warum wir aufschieben, mit einer einfachen Formel:
"Procrastination is, at its core, an emotion regulation strategy. We procrastinate not because we're lazy, but because we're trying to manage negative emotions."
— Piers Steel, The Procrastination Equation
Motivation = (Erwartung × Wert) / (Impulsivität × Verzögerung)
Übersetzt:
- Erwartung: Wie wahrscheinlich ist Erfolg?
- Wert: Wie angenehm oder wichtig ist die Aufgabe?
- Impulsivität: Wie leicht lässt du dich ablenken?
- Verzögerung: Wie weit in der Zukunft liegt die Belohnung?
Je weiter eine Deadline entfernt ist, desto unwahrscheinlicher arbeitest du daran – selbst wenn du weißt, dass du solltest.
Das erklärt, warum du am Semesteranfang so motiviert bist („Diesmal lerne ich von Anfang an!") und drei Wochen vor der Klausur immer noch nicht angefangen hast.
Prokrastination als Emotionsregulation
Neuere Forschung zeigt: Prokrastination ist primär ein Problem der Emotionsregulation, nicht des Zeitmanagements.
- Sirois & Pychyl (2013): Wir prokrastinieren, um kurzfristig negative Emotionen zu vermeiden – Angst, Langeweile, Frustration, Überforderung
- Das Problem: Die kurzfristige Erleichterung wird durch langfristigen Stress und Schuldgefühle erkauft
- Der Teufelskreis: Je mehr wir aufschieben, desto schlechter fühlen wir uns, desto mehr wollen wir aufschieben
Das Belohnungssystem des Gehirns
Dein Gehirn bevorzugt sofortige Belohnungen gegenüber verzögerten. Das ist evolutionär sinnvoll – in der Savanne war die Beere jetzt wichtiger als die vielleicht größere Beere morgen.
Aber im Studium ist das problematisch:
- Netflix jetzt = sofortige Dopamin-Ausschüttung
- Lernen jetzt = verzögerte Belohnung (gute Note in 3 Wochen)
Dein limbisches System (emotional, impulsiv) gewinnt gegen deinen präfrontalen Kortex (rational, planend), wenn du nicht aktiv gegensteuerst.
Die 4 Haupttypen der Prokrastination
Nicht alle Aufschieber sind gleich. Das Verständnis deines Prokrastinations-Typs hilft dir, die richtigen Strategien zu wählen.
Typ 1: Der Ängstliche
Ursache: Angst vor Versagen, Perfektionismus, Selbstzweifel
Gedanken: „Was, wenn ich es nicht schaffe? Was, wenn meine Arbeit nicht gut genug ist?"
Verhalten: Startet nicht, weil der erste Schritt zu beängstigend erscheint. Verbringt viel Zeit mit Vorbereitung und Recherche, ohne tatsächlich zu beginnen.
Lösung: Fokus auf Anfangen, nicht auf Perfektionieren. „Erlaube dir, einen schlechten ersten Entwurf zu schreiben."
Typ 2: Der Perfektionist
Ursache: Unrealistisch hohe Standards, Alles-oder-Nichts-Denken
Gedanken: „Wenn ich es nicht perfekt machen kann, mache ich es lieber gar nicht."
Verhalten: Wartet auf den „perfekten Moment" oder die „perfekte Stimmung". Arbeitet extrem langsam an unwichtigen Details.
Lösung: „Done is better than perfect." Zeitliche Begrenzung setzen: „Ich arbeite 2 Stunden daran, dann ist es fertig."
Typ 3: Der Rebellische
Ursache: Widerstand gegen externe Erwartungen, Kontrollbedürfnis
Gedanken: „Ich mache es, wann ICH es will, nicht wann andere es wollen."
Verhalten: Schiebt auf, um Autonomie zu demonstrieren. Empfindet Deadlines als Einschränkung der Freiheit.
Lösung: Aufgaben als eigene Entscheidung rahmen: „Ich WÄHLE, jetzt zu lernen" statt „Ich MUSS lernen."
Typ 4: Der Entscheidungsmüde
Ursache: Überforderung, zu viele Optionen, unklare Prioritäten
Gedanken: „Wo soll ich überhaupt anfangen? Ich weiß nicht, was zuerst dran ist."
Verhalten: Verbringt Zeit mit Planen statt Handeln. Springt zwischen Aufgaben hin und her. Prokrastiniert durch „produktives" Aufschieben (E-Mails, Haushalt).
Lösung: Klare Priorisierung am Vorabend. Die wichtigste Aufgabe zuerst, bevor Entscheidungsmüdigkeit einsetzt.
7 evidenzbasierte Strategien gegen Prokrastination
Strategie 1: Die 2-Minuten-Regel
Das Prinzip: Wenn eine Aufgabe weniger als 2 Minuten dauert, tue sie sofort.
Für größere Aufgaben: Mache die ersten 2 Minuten. Öffne das Dokument. Schreibe den ersten Satz. Das Schwierigste am Anfangen ist das Anfangen.
Warum es funktioniert: Sobald du anfängst, greift der Zeigarnik-Effekt – unerledigte Aufgaben bleiben im Kopf und ziehen dich zurück. Nach 2 Minuten willst du oft weitermachen.
Strategie 2: Implementation Intentions (Wenn-Dann-Pläne)
Das Prinzip: Formuliere konkrete Wenn-Dann-Sätze für dein Verhalten.
Statt: „Ich werde morgen lernen." Besser: „Wenn ich morgen um 9 Uhr an meinem Schreibtisch sitze, dann öffne ich mein Statistik-Skript und bearbeite Kapitel 3."
Warum es funktioniert: Wenn-Dann-Pläne verlagern die Entscheidung von „Wann mache ich das?" zu einem automatischen Auslöser. Du musst im Moment nicht mehr überlegen – du handelst nach Plan.
Strategie 3: Temptation Bundling
Das Prinzip: Verbinde eine unangenehme Aufgabe mit einer angenehmen.
Beispiele:
- „Ich höre meinen Lieblingspodcast nur, während ich Karteikarten lerne."
- „Ich gehe nur ins Lieblingscafé, wenn ich dort lerne."
- „Ich schaue die neue Staffel nur, wenn ich dabei Zusammenfassungen schreibe."
Warum es funktioniert: Du nutzt die Verlockung der angenehmen Aktivität, um die unangenehme attraktiver zu machen. Das Gehirn verknüpft beide Aktivitäten.
Strategie 4: Die Pomodoro-Technik
Das Prinzip: Arbeite in 25-Minuten-Blöcken mit 5-Minuten-Pausen.
Für eine vollständige Anleitung zur Pomodoro-Technik lies unseren Leitfaden zur Pomodoro-Technik.
Warum es gegen Prokrastination hilft:
- Reduziert Überforderung: Du musst nicht „den ganzen Tag lernen", nur 25 Minuten
- Schafft klare Anfangs- und Endpunkte: Der Timer strukturiert die Zeit
- Fresh-Start-Effekt: Jeder Pomodoro ist ein Neuanfang
Strategie 5: Commitment Devices
Das Prinzip: Mache das Aufschieben schwieriger als das Arbeiten.
Beispiele:
- Website-Blocker installieren (Cold Turkey, Freedom)
- Handy in einen anderen Raum legen
- Mit Freunden verabreden: „Wir lernen zusammen um 10 Uhr in der Bib"
- Geld bei einem Freund hinterlegen, das du nur zurückbekommst, wenn du dein Ziel erreichst
Willenskraft ist begrenzt. Intelligente Systeme sind unbegrenzt.
Warum es funktioniert: Statt auf Willenskraft zu vertrauen (die erschöpft), gestaltest du deine Umgebung so, dass die produktive Handlung der Weg des geringsten Widerstands wird.
Strategie 6: Environment Design
Das Prinzip: Gestalte deine Umgebung für Produktivität.
Für mehr Fokus:
- Räume deinen Schreibtisch auf (nur das Nötigste)
- Geh in die Bibliothek (sozialer Druck + weniger Ablenkungen)
- Nutze Noise-Cancelling-Kopfhörer
- Schalte alle Benachrichtigungen aus
Für weniger Ablenkung:
- Handy in einen anderen Raum
- Social-Media-Apps vom Handy löschen (während der Prüfungsphase)
- Einen „Lern-Browser" nutzen (ohne gespeicherte Logins für Ablenkungsseiten)
Strategie 7: Zeiterfassung mit Athenify
Das Prinzip: Was gemessen wird, wird verbessert.
Athenify macht deine Prokrastination sichtbar – und genau das ist der erste Schritt zur Veränderung.
Wie Athenify gegen Prokrastination hilft:
-
Ehrliche Bestandsaufnahme: Du siehst, wie viel du wirklich lernst vs. wie viel du glaubst zu lernen
-
Der Timer als Commitment: Wenn du den Timer startest, hast du dich entschieden zu arbeiten. Das macht es schwerer, „kurz" abzulenken
-
Streaks als Motivation: Jeder Tag, an dem du lernst, baut deinen Streak auf. Die Angst, den Streak zu brechen, ist stärker als die Verlockung zu prokrastinieren
-
Sichtbarer Fortschritt: Der Aktienkurs zeigt deinen kumulativen Fortschritt. Jede Lernstunde lässt ihn steigen
-
Daten für Selbstreflexion: Nach ein paar Wochen siehst du Muster: Wann prokrastinierst du am meisten? Bei welchen Fächern? Das ermöglicht gezielte Gegenmaßnahmen
Der Aktionsplan: Prokrastination ab heute überwinden
Woche 1: Bewusstsein
- Tracke deine Zeit mit Athenify: Jede Lernminute, aber auch jede Stunde, die du eigentlich lernen wolltest
- Identifiziere Trigger: Wann schiebst du auf? Bei welchen Aufgaben? Zu welchen Uhrzeiten?
- Erkenne deinen Typ: Bist du ängstlich, perfektionistisch, rebellisch oder entscheidungsmüde?
Woche 2: Erste Interventionen
- Installiere einen Website-Blocker für deine größten Ablenkungen
- Setze Implementation Intentions: Formuliere 3 konkrete Wenn-Dann-Pläne
- Starte jeden Lerntag mit der 2-Minuten-Regel: Nur anfangen, nicht perfekt sein
Woche 3-4: Systeme etablieren
- Nutze die Pomodoro-Technik für fokussiertes Arbeiten
- Baue einen Streak auf: Jeden Tag mindestens 30 Minuten lernen
- Analysiere deine Daten: Was funktioniert? Was nicht?
Langfristig: Gewohnheit werden
Nach 4-6 Wochen mit diesen Strategien wirst du merken: Prokrastination ist kein unüberwindbares Monster. Es ist ein Muster – und Muster lassen sich ändern.
Fazit: Prokrastination ist besiegbar
Prokrastination fühlt sich an wie ein persönliches Versagen. Aber das ist es nicht. Es ist ein menschliches Phänomen mit wissenschaftlich verstandenen Ursachen – und bewährten Lösungen.
Die drei wichtigsten Erkenntnisse:
-
Prokrastination ist Emotionsregulation: Du schiebst auf, um dich kurzfristig besser zu fühlen, nicht weil du faul bist
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Willenskraft allein reicht nicht: Du brauchst Systeme, Routinen und eine optimierte Umgebung
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Zeiterfassung macht Prokrastination sichtbar: Und was sichtbar ist, kann verändert werden
Der beste Zeitpunkt, mit dem Aufschieben aufzuhören, war gestern. Der zweitbeste ist jetzt.
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